Die Reichsprogromnacht (1938)

Die Vorgeschichte

Zur unmittelbaren Vorgeschichte des Ereignisses zählte ein Attentat, das Herschel Grynszpan aus Protest gegen die Ausweisung mehrerer Tausend Juden polnischer Nationalität aus Deutschland gegen den deutschen Botschaftssekretär E. vom Rath am 7. November 1938 in Paris unternahm. Nachdem am Nachmittag des 9. November 1938 der Tod des Attentatsopfers bekannt gegeben worden war, kam es am Abend desselben Tages reichsweit zu organisierten Ausschreitungen gegen jüdische Einrichtungen und Menschen.

Der "Volkszorn" als inszenierte Maßnahme

Die als “spontane Äußerungen” des Volkszorns inszenierten Maßnahmen wurden durch in Zivilkleidung auftretende Nationalsozialisten und SA-Angehörige ausgeführt. Im Verlauf des Pogroms wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in ganz Deutschland über 1.000 Synagogen, 191 davon durch Feuer, zerstört. Überdies waren jüdische Gebetshäuser, jüdische Friedhöfe und 7.500 jüdische Wohn- und Geschäftshäuser das Ziel des staatlich getragenen Vandalismus. Jüdische Familien wurden aus ihren Häusern geholt und in erniedrigender Weise durch die Straßen gehetzt.

Verharmlosung: "Reichskristallnacht"


In der Pogromnacht wurden 91 jüdische Menschen ermordet und mehr als 30.000 verhaftet, von denen ein Großteil danach in die Konzentrationslager gelangten. Die davon verschont gebliebene jüdische Bevölkerung wurde in der Folge zur Deckung der Kosten für Aufräumarbeiten und Schadensbeseitigung mit einer kollektiven Sondersteuer von 1 Milliarde Reichsmark belegt. Die nationalsozialistische Regierung und Öffentlichkeit verharmlosten den Pogrom in Anspielung auf die mit Glasscherben übersäten Straßen, die am nächsten Morgen das Ausmaß der Zerstörung dokumentierten, als “Reichskristallnacht”.

Beginn systematischer Verfolgungen

Das Novemberpogrom markierte in der Geschichte des Nationalsozialismus den Beginn systematischer Verfolgungen sowie sozialer und beruflicher Diskriminierungen gegen die noch in Deutschland gebliebene jüdische Bevölkerung. Es leitete deren völlige Entrechtung ein und löste in den folgenden Jahren eine zunehmende Auswanderungswelle aus. Aus einer weiteren historischen Perspektive betrachtet zählt die Reichspogromnacht von 1938 zu einer Serie meist staatlicher- und kirchlicherseits geduldeter oder gar geschürter Judenverfolgungen in Europa, die jedoch im Zuge der sogenannten Judenemanzipation ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer seltener geworden waren.

Die Gewaltereignisse im Deutschland von 1938 verweisen daher in eine gesellschaftliche Lebenswelt und politische Kultur zurück, die vor der Aufklärung und Französischen Revolution von 1789 zu lokalisieren sind.